Der „Werbe-Übergriff“ am Hauptplatz
Wenn die Baustelle zum Billboard wird.
Ein verhangenes Baugerüst mitten in der Grazer Altstadt. Eine Baustelle, wie sie viele sind. Doch diesmal hängt darüber kein staubgraues Netz, sondern eine haushohe Werbeplane, so riesig, dass sie die Nachbarfassaden überstrahlt. Wo früher barocke Ornamente das Auge anziehen, schreit jetzt Reklame um Aufmerksamkeit.
Zuerst staunt man. Dann fragt man sich: Muss das sein? Und vor allem – “jo derfen’s des?!
Denn die Baustellenverhüllung am früheren H&M-Haus am Grazer Hauptplatz ist alles andere als zufällig. Der Ankünder bespielt die drei Stockwerke hohe Plane mit großflächigen Werbesujets von Sky, zusätzlich konnten auch Magenta und Stainzer Milch für die temporäre Fläche gewonnen werden. Eine clevere Vermarktungsidee – aber mitten in der Grazer Altstadtschutzzone, die zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, wirkt sie wie ein Fremdkörper.
Was hier als kreative Nutzung einer temporären Fläche verkauft wird, empfinden viele als Grenzüberschreitung. Die Baustelle dient nicht mehr nur der Sanierung, sondern wird zur Bühne – für Marken, die mitten ins historische Herz der Stadt drängen.
Baustellenverkleidungen sind an sich nichts Neues – praktisch, schützend, notwendig. Doch wenn sie plötzlich zur gewinnbringenden Werbefläche werden, verschiebt sich etwas. Eine Stadt, deren Gebäude Jahrhunderte überdauert haben, wird zur Litfaßsäule auf Zeit. Und diese Zeit reicht oft, um das Stadtbild für Wochen zu verändern.
Besonders brisant: In der Altstadtschutzzone müssen sich Unternehmer mit der Altstadtsachverständigenkommission (ASVK) ins Einvernehmen setzen, wenn sie an ihren Fassaden etwas verändern oder Werbung anbringen wollen. Der Weltladen am Hauptplatz etwa musste eine Strafe zahlen, weil er gegen diese Regelungen verstoßen hatte. Währenddessen hängt nun eine haushohe Werbeplane mit internationalen Marken über der sensibelsten historischen Zone der Stadt – und sorgt für Unmut.
Die Diskussion, die in Graz entbrannt ist, geht deshalb weit über ein einzelnes Plakat hinaus. Es geht um Haltung. Um Respekt vor dem Ort. Um die Frage, wem die Stadt gehört – ihren Bewohnern oder den Marken, die sie bespielen.
Die einen sehen darin eine harmlose Geste, ein wenig Farbe auf grauem Beton. Die anderen sehen darin einen Übergriff, eine Kommerzialisierung des öffentlichen Raums, der längst voll ist von Logos, Claims und Leuchtreklamen.
Natürlich braucht Werbung Sichtbarkeit. Marken leben davon, gesehen zu werden. Doch je sensibler der Kontext, desto größer die Verantwortung. In einer Altstadt ist Sichtbarkeit kein Selbstzweck, sondern eine Einladung zum Dialog. Werbung kann integrieren oder dominieren – und die Grenze dazwischen ist schmal.
Vielleicht ist das, was da am Hauptplatz passiert ist, gar kein Einzelfall, sondern ein Symptom. Städte werden zur Leinwand, Marken zur Landschaft. Doch wer in einem Weltkulturerbe wirbt, sollte nicht vergessen, dass er auf historischem Boden steht – und nicht auf einer neutralen Fläche im Nirgendwo.
Die riesige Plane in Graz mag irgendwann wieder verschwinden. Die Diskussion aber bleibt: Wie viel Werbung verträgt eine Stadt, bevor sie ihr Gesicht verliert?
Vielleicht ist es an der Zeit, weniger über die Größe von Logos zu sprechen – und mehr über die Größe einer gemeinsamen Verantwortung.
Wir freuen uns auf Zu- und Widerspruch. Die Diskussion ist eröffnet – schicken Sie uns ein Mail und nehmen Sie Stellung.